... ich war ein verborgener Schatz und wollte erkannt werden ...

Rainer Maria Rilke um 1900

... und ich möchte Sie, so gut ich es kann, bitten, ... Geduld zu haben gegen alles Ungelöste in Ihrem Herzen und zu versuchen, die Fragen selbst liebzuhaben.
... es handelt sich darum, alles zu leben.

Leben Sie jetzt die Fragen. Vielleicht leben Sie dann allmählich, ohne es zu merken, eines fernen Tages in die Antwort hinein.   ...

Darum ... lieben Sie Ihre Einsamkeit, und tragen Sie den Schmerz, den sie Ihnen verursacht, mit schön klingender Klage.

Denn die Ihnen nahe sind, sind fern, sagen Sie, und das zeigt, daß es anfängt, weit um Sie zu werden. Und wenn Ihre Nähe fern ist, dann ist Ihre Weite schon unter den Sternen und sehr groß;

freuen Sie sich Ihres Wachstums, in das Sie ja niemanden mitnehmen können, und seien Sie gut gegen die, welche zurückbleiben, und seien Sie sicher und ruhig vor ihnen und quälen Sie sie nicht mit Ihren Zweifeln und erschrecken Sie sie nicht mit Ihrer Zuversicht oder Freude, die sie nicht begreifen könnten.

(Rainer Maria Rilke 1875 - 1926
aus einem Brief an Franz Xaver Kappus)

 
 

 

 

© 2024 Akademie-Lichtung

Be melting snow

 Lo I am with you always

Wash yourself of yourself be melting snow
A white flower grows in the quietness
Let your tongue become that flower

The Moon the full Moon is inside your house

God is in the look of your eye
God is in the thought of looking
God is nearer to you than yourself
And things that have happened to you

I’m in here comes a voice from the house
But we’re not listening we’re looking at the Sky
There’s no need to go outside

...

hu allâh
lâ ilâha illâ allâh

 

Das englischen Zeilen stammen aus einem Gedicht von Rumi in einer Übersetzung von Coleman Barks (der ganze Text extern HIER) sehr schön vertont und gesungen von Mirabai Deborah Daniels und externHIER als YouTube-Song zu hören.

... die arabischen Worte hat Mirabai Deborah Daniels im Sinne von Rumi ihrem Lied selbst angefügt.

Für Rumi hatten besonders die letzten Worte, wie für alle Sufis, eine besondere Bedeutung. Sie werden traditionell in einer Kontemplation, die in etwa dem christlichen Herzendgebet entspricht und "dhikr" (das Gedenken) genannt wird, sehr lange wiederholt hintereinander gesprochen und damit verinnerlicht.

Dabei ist "hu allâh" die Gegenwart Gottes, auch verstanden als eine Anrufung: die Bitte, dass Gott jetzt und hier anwesend sein möge, für Mystiker letztlich das Gewahrsein der Allgegewart Gottes im hier und jetzt.

Noch vielschichtiger ist die Bedeutung der arabischen Worte: "lâ ilâha illâ allâh", die auch Teil des Islamischen Glaubensbekenntnis sind. Die vier einzelnen Wörter des Ausspruchs haben im einzelnen folgende Bedeutung:

    = nein, nicht, kein, weder
    ilâha = Gott, Gottheit, Objekt der Anbetung
    illâ = aber, außer (illâ ist eine Verkürzung von "in-lâ", wörtlich "wenn nicht")
    allâh = Allâh, der Name "Gott" im arabischen Sprachraum (auch für Christen)

wörtlich  übersetzt: "(es gibt) keine Gottheit außer Gott" oder "(es gibt) nicht(s) Anbetungswürdiges außer Gott" ... wörtlich übersetzt deckt sich der Inhalt also genau mit dem ersten Gebot der Christen: "Ich bin der Herr dein Gott, du sollst keine Götter neben mir haben.

Die radikal-islamistische Interpretation dieses Glaubensbekenntnisses ist manchmal sinngemäß: "jeder der etwas anbetet, was er nicht Allah nennt ist ungläubig."

Im Verständnis der Sufi-Mystiker bedeuten diese Worte, so wie es auch aus Rumi's Zeilen klingt: "es existiert nichts außerhalb von Gott" also die Göttliche Gegenwart ist bereits in dir, du brauchst sie nicht im Himmel zu suchen (der volle Mond ist in deinem Haus ... Gott ist dir näher als du dir selbst. "ich bin hier drinnen" kommt eine Stimme aus dem Haus aber wir hören nicht zu und schauen in den Himmel ...)

Versuch einer deutschen Übersetzung und Interpretation ...

Sei schmelzender Schnee

Siehe ich bin immer bei DIr
wasche dein selbst von deinem Selbst ab, sei schmelzender Schnee
Eine weiße Blühte wächst in der Stille
lasse deine Zunge diese Blühte werden

Der Mond, der volle Mond ist in deinem Haus

Gott ist in dem Blick deiner Augen
Gott ist in der Idee zu Sehen
Gott ist dir näher als du dir selbst
und die Dinge die dir geschahen.

"Ich bin hier drinnen" kommt eine Stimme aus dem Haus
Aber wir hören nicht zu, wir schauen den Himmel an

Es ist nicht nötig nach draussen zu gehen

 

Die Worte des Gedichts sind offensichtlich ... und doch wie andere Texte großer Mystiker vielschichtig und auf unterschiedlichen Ebenen sinnvoll und verständlich, und ohne eigene Erfahrungen unsinnig oder unverständlich.


Was mir (Malik) dazu einfällt wäre z.B.:

  • Lo I'am with you always (Siehe ich bin bei dir immerdar)
    Wer spricht hier? "Ich bin immer bei dir" -  Du selbst bist immer bei dir ... und Gott ist immer bei dir  ... Du bist nie allein!
    Die Sufi-Mhystiker aller Zeiten lieben ein "Hadith" in dem die Stimme Gottes sagt. "Ich bin dir näher als deine Halsschlagader"
    ... Darum geht es vermutlich in den Zeilen ... und wie kann ich das erfahren
  • wash yourself from yourself, be melting snow (wasche "dich" von dir ab, sei schmelzender Schnee)
    Ok, das mit dem "selbst" klingt heftig, und schmelzender Schnee ist ein sehr stark emotional aufgeladenes Bild ... In der Sufi-Mystik hat der Wassertropfen die Qualität des Ozeans aus dem er hervor gegangen ist, und von dem er sich vorübergehend getrennt hat, um zu erfahren, was es heißt Wasser zu sein. Die Seele möchte sich als ein abgetrennter Tropfen erfahren, um das Wesen des Wassers zu erkennen, bzw. das Wasser möchte sich seiner selbst bewußt werden. Dieser Tropfen, die Seele, das Selbst, kritallisiert im Laufe des Lebens durch Vortellungen, Erfahrungen und Wertungen  zu einer Schneeflocke - dem kleinen selbst, dem Ego, das in Sufi-Teminologie auch "historisches Selbst" genannt wird. Mit dem körperlichen Tod und dem Verlöschen des physischen Verstandes schmelzen selbstverständlich auch die kristallinen Strukturen der Selbstwahrnehmung und Selbstdarstellung wieder und geben die "Essenz" der Seele, das Wasser des Lebens, frei. Rumi ruft hier also vermutlich dazu auf die kritallinen Strukturen wieder schmelzen zu lassen, das Selbst von der Last des Ego wieder zu befreien (abzuwaschen) ... oder mystisch ausgedrückt sagt Rumi einmal mehr: "Stirb bevor du stirbst", werde dir deiner Seele, deines Selbsts, deines Auferstehuingskörpers bereits im Leben und vor deinem physischen Tod bewußt.
  • A white flower grows in the quietness - let your tongue become that flower (eine weiße Blüte wächst in der Stille - lass deine Zunge zu dieser Blüte werden)
    Klingt surrealistisch abgefahren ... kann man aber auch als konkrete Meditationsanleitung lesen, um zu dieser Erfahrung der eigenen Essenz, der eigenen Seele zu kommen:
    Gehe in die Stille, strecke deine Zunge nach hinten oben gegen das Gaumendach und stell dir vor dass sich dein Kronen-Chakra wie eine Blühte öffnet. Eine vergleichbare praktische Anleitung einer Meditationshaltung und Einstimmung ist auch im Buddhismus und Hinduismus bekannt und könnte Sinn machen.
  • The moon, the full moon is inside your house (der Mond der volle Mond ist in deinem Haus)
    Das Bild des Hauses oder Gästehauses verwendet Rumi in einem anderen Gedicht als Bild und Metapher für den Körper mit seinem Verstand und seinen Emotionen. Auch der Mond wird mit Emotionen, sowie dem Herzen und dem weiblich Empfangenden Teil in uns in Verbindung gebracht. In der Sufi-Mystik wirde die Sonne auch als Symbol der Quelle des Lichtes (also Gottes) verwendet und der Mond als Herz oder menschliche Seele in dem sich das Licht widerspiegelt. ("Let my heart reflect thy light, Lord, as the moon reflects the light of the sun in love, always in love".) In der Tradition der Sufi's schlägt Rumi vor, Gott nicht in der Grenzenlosikeit des Himmels (des Meeres) zu suchen sondern in der Begrenzung der Manifestation, im Tropfen, im Mond, in dem Herzen als Spiegel der Sonne. Dem Spiegel den es nach Sufi-Tradition zu polieren, und von dern Verschleierungen der kristallinen Muster zu befreien gilt.
  • God is nearer to you than yourself and things that happened to you (Gott ist dir näher als du dir selbst und die Dinge die dir geschehen sind) Es gibt nichts, was sich zwischen Dich und Gott stellen kann, keinen Grung zu fliehen oder eine Erfahrung auszugrenzen. Du bist und bleibst geborgen in Gott.
  • There's no need to go outside (es gibt keine Notwendigkeit nach draussen zu gehen) du mußt nicht im Außen zu suchen, was in dir ist, sich in dir widerspiegelt.

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