... ich war ein verborgener Schatz und wollte erkannt werden ...

Rainer Maria Rilke um 1900

... und ich möchte Sie, so gut ich es kann, bitten, ... Geduld zu haben gegen alles Ungelöste in Ihrem Herzen und zu versuchen, die Fragen selbst liebzuhaben.
... es handelt sich darum, alles zu leben.

Leben Sie jetzt die Fragen. Vielleicht leben Sie dann allmählich, ohne es zu merken, eines fernen Tages in die Antwort hinein.   ...

Darum ... lieben Sie Ihre Einsamkeit, und tragen Sie den Schmerz, den sie Ihnen verursacht, mit schön klingender Klage.

Denn die Ihnen nahe sind, sind fern, sagen Sie, und das zeigt, daß es anfängt, weit um Sie zu werden. Und wenn Ihre Nähe fern ist, dann ist Ihre Weite schon unter den Sternen und sehr groß;

freuen Sie sich Ihres Wachstums, in das Sie ja niemanden mitnehmen können, und seien Sie gut gegen die, welche zurückbleiben, und seien Sie sicher und ruhig vor ihnen und quälen Sie sie nicht mit Ihren Zweifeln und erschrecken Sie sie nicht mit Ihrer Zuversicht oder Freude, die sie nicht begreifen könnten.

(Rainer Maria Rilke 1875 - 1926
aus einem Brief an Franz Xaver Kappus)

 
 

 

 

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Wein-Gedanken

Einst gab es einen Weinstock, der bemerkte, dass die Menschen jedes Jahr kamen und seine Trauben nahmen. Er beobachtete, dass niemand jemals irgendwelche Dankbarkeit zeigte.

Eines Tages kam ein weiser Mann daher und setzte sich in der Nähe hin. „Das“, dachte der Wein, „ist meine Chance, das Mysterium zu lösen.“ Er sagte: „Weiser Mann, wie ihr wohl gesehen habt, bin ich ein Weinstock. Wann
immer meine Früchte reif sind, kommen die Menschen, und nehmen sie weg. Keiner zeigt jemals ein Zeichen der Anerkennung. Kannst Du mir diesen Sachverhalt erklären?“

Der Weise dachte eine Weile nach. Dann sagte er: „Wahrscheinlich ist der Grund, dass diese Menschen den Eindruck haben, dass Du nicht anders kannst, als Trauben zu produzieren.“

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