... ich war ein verborgener Schatz und wollte erkannt werden ...

 Meister Eckhard

Einst wollte ich Gott mit seinen Augen sehen, jetzt weiß ich dass ER sich mit meinen Augen sieht.

Meister Eckhard (1260 - 1328)

© 2024 Akademie-Lichtung

Ein wandernder Geist macht unglücklich ... 

Zitate zum Thema Meditation und Konzentration von Thomas Metzinger aus seinem sehr empfehlenswerten Buch "DER EGO TUNNEL - Eine neue Philosophie des Selbst: Von der Hirnforschung zur Bewusstseinsethik":

Vor allem haben neuere Untersuchungen gezeigt, dass ein wandernder Geist uns unglücklich macht: Wer den Kontakt zur Gegenwart verliert, weil er gedanklich immer wieder in die Zukunft und die Gegenwart abschweift, besitzt ganz allgemein eine schlechtere Stimmungslage als ein Mensch, der seine Aufmerksamkeit stärker in der Gegenwart halten kann. ... Wenn unser Geist wandert, verlieren wir unsere geistige Autonomie. Geistige Autonomie ist die Fähigkeit, seine eigenen inneren Handlungen zu kontrollieren und auch auf mentaler Ebene selbstbestimmt zu handeln. Wir verlieren unsere geistige Autonomie immer dann, wenn ein bestimmter Teil unseres kognitiven Selbstmodells vorübergehend zusammenbricht - und die neuere Forschung zeigt, dass dies jedem von uns täglich viele hundert Male widerfahrt. Wenn wir auf der Ebene des körperlichen Handelns so oft die Kontrolle verlieren würden wie auf der geistigen Ebene, dann würden wir, von außen betrachtet, sehr oft aussehen wie eine seltsame Mischung aus einer wachen Person und einem schlafwandelnden Zappelphilipp. Der Schlafwandler irrt auf Autopilot in einem bizarren Zickzackkurs durch die Welt. Wie eine Art schauspielender Roboter scheint er eine Vielzahl von unbekannten, aber ganz offenkundig miteinander in Wettstreit stehenden Kurzgeschichten und inneren Dramen auszuagieren. Dabei wird er kurzzeitig von immer neuen Gegenständen magisch angezogen, vergisst diese aber bald wieder und setzt seinen Zickzackkurs fort. Vor allem fällt er dabei immer wieder zu Boden, wo er zu strampeln beginnt wie ein Säugling, der noch nicht laufen kann. Doch dünn erhebt er sich plötzlich wieder und nimmt kurz den aktuellen Moment wahr: Er wird präsent, eine Person, ein autonomes geistiges Subjekt. Sobald die Gegenwart nicht mehr seine volle Aufmerksamkeit erfordert, übernimmt wieder der Schlafwandler, der ohne sich selbst wirklich zu spüren durch die Welt taumelt. Unser wandernder Geist besitzt eine ganze Reihe von interessanten phänomenologischen Aspekten. Haben Sie schon einmal bemerkt, dass Sie die eigentliche Entstehung des ersten Gedankens, der Sie aus dem Jetzt in einen Tagtraum oder einen inneren Monolog entführt, niemals wahrnehmen können, sondern allenfalls - wenn Sie sehr bewusst sind - den zweiten Gedanken, der dann auf ihn folgt und sich aus ihm entwickelt? Ich habe diese interessante Tatsache den self-representational blink, genannt, also den kurzen Moment der inneren Blindheit, der sich aus dem »Blinzeln« ergibt, mit dem das Gehirn von einem Selbstmodell zum anderen umschaltet - dem Lidschlag des Selbstbewusstseins. Ein solcher Übergang beginnt immer mit einer sehr kurzen Schwarzblende und führt uns zum Beispiel vom Bild der wachen, im Jetzt präsenten Person zum Protagonisten eines Tagtraums oder dem Ego, das gerade einen inneren Monolog vorträgt. Eine zweite interessante Beobachtung ist, dass wir eine Gedankenkette oder innere Geschichte nicht mehr willentlich beenden können, solange wir uns wirklich vollständig mit ihr identifizieren. Wir sind tatsächlich verloren. Ein bestimmter Teil des Selbstmodells ist zusammengebrochen, nämlich das bewusste Wissen darüber, dass wir selbst überhaupt die Fähigkeit besitzen, den Zustand zu beenden und ins jetzt zurückzukehren. Wir könnten handeln, aber wir wissen in diesem Moment überhaupt nicht mehr, dass wir überhaupt ein Wesen sind, das zum autonomen inneren Handeln fähig ist. Eine der wichtigsten Funktionen des bewussten Selbstmodells ist nämlich, Wissen darüber verfügbar zu machen, welche Fähigkeiten und Handlungsmöglichkeiten wir im Moment gerade besitzen. Wer nicht weiß, dass er auch innehalten könnte, der kann nicht innehalten. (S.180)
 
Das kognitive Subjekt ist ein Denker von Gedanken und darüber hinaus in der Lage, sich diese Eigenschaft selbst zuzuschreiben. Für die westliche Philosophie war das bewusste, die eigenen geistigen Zustände kontrollierende Subjekt von zentraler Bedeutung. Was dabei weitgehend verdrängt wurde, ist die offensichtliche Tatsache, dass der allergrößte Teil unseres Denkens in Wirklichkeit ein subpersonaler Vorgang ist: das ständige Geplapper eines automatisch ablaufenden inneren Monologs, das Hintergrundgeräusch aus Erinnerungen, Bewertungen und kleinen Geschichten, welche wie ein Schleier die Wahrnehmung des aktuellen Moments trübt. Nur manchmal haben wir das Erlebnis, beim Denken wirklich innerlich Handelnde zu sein. Meist ist es jedoch so, dass Gedanken einfach vorbeiziehen wie Wolken am Himmel. Meditierende - wie die tibetanischen Mönche in Kapitel 2 - streben danach, ihr Ichgefühl möglichst weit abzuschwächen und nach Möglichkeit sogar aufzulösen. Darum lassen sie ihre Gedanken einfach vorbeiziehen, anstatt sich an ihrem Inhalt festzuhalten, und gestatten ihnen auf sehr achtsame, aber anstrengungslose Weise, sich aufzulösen. Wenn Sie niemals das bewusste Erlebnis gehabt hätten, dass Sie Ihre eigenen Gedanken verursachen, dass Sie sie ordnen und aufrechterhalten und sozusagen mit Ihrem Geist an deren Inhalt anhaften, dann hätten Sie sich auch noch nie als ein denkendes Selbst erlebt. Dieser Teil Ihres Selbstmodells wäre einfach verwelkt und verkümmert. Um Descartes' Erfahrung des Cogito zu haben - das stabile innere Erleben, dass man ein denkendes Ding ist, ein intellektuelles Ego -, muss man vorher das bewusste Erlebnis gehabt haben, dass man willentlich die Inhalte des eigenen Geistes auswählt. (S.183)

Wenn man alle empirischen Erkenntnisse zum Mind Wandering zusammennimmt, dann erhält man ein überraschendes und in seiner philosophischen Bedeutung schwer zu unterschätzendes Ergebnis: Geistige Autonomie ist die Ausnahme, der Kontrollverlust dagegen die Regel. Was das innere Handeln angeht, sind wir nur selten wirklich selbstbestimmte Personen, denn der überwiegende Teil unserer bewussten geistigen Aktivität ist eher eine unabsichtliche Form des Verhaltens auf der subpersonalen Ebene. Kurz: ... was wir früher »das bewusste Denken« genannt haben, ist in Wirklichkeit meistens ein automatisch ablaufender subpersonaler Vorgang. Wenn Sie einfach nur Ihren Atem beobachten, dann nehmen sie einen automatisch ablaufenden Vorgang im Körper wahr. Wenn Sie dagegen einfach nur Ihren wandernden Geist beobachten, erleben Sie ebenfalls die spontane Aktivität eines Vorgangs im Körper. Welcher physische Vorgang genau ist dies? Eine Vielzahl von empirischen Studien zeigt mittlerweile, dass die Bereiche unseres Gehirns, die für den wandernden Geist verantwortlich sind, sich sehr weitgehend mit dem sogenannten »Ruhezustandsnetzwerk« überlappen. Das Ruhezustandsnetzwerk wird beim Nichtstun aktiv und dies führt dazu, dass die Aufmerksamkeit nach innen gelenkt wird. Das geschieht zum Beispiel beim Tagträumen oder wenn wir über uns selbst und die Zukunft nachdenken. Sobald eine konkrete Aufgabe zu bewältigen ist, wird es deaktiviert und wir konzentrieren uns umgehend auf die Lösung des gerade anstehenden Problems. Ich selbst vermute, das Ruhezustandsnetzwerk dient auch dazu, unser autobiographisches Selbstmodell aufrecht und in Schuss zu halten: Wie ein automatisches Wartungsprogramm erzeugt es immer neue innere Geschichten, die alle die Funktion haben, uns glauben zu lassen, dass wir über die Zeit hinweg tatsächlich dieselbe Person sind. Solange wir das glauben, so lange ergibt es für uns Sinn, in die Zukunft zu planen, Risiken zu vermeiden und unsere Mitmenschen fair zu behandeln - denn die Konsequenzen unseres Handelns werden ja am Ende uns selbst betreffen. (S.185)

Und es gibt das innere Nicht-Handeln, zum Beispiel durch das Loslassen einer Gedankenkette und das offene anstrengungslose Gewahrsein, das manchmal darauf folgen kann. Es gibt also äußeres Schweigen und inneres Schweigen. Wer seinen äußeren Redefluss nicht mehr anhalten kann, der kann bald überhaupt nicht mehr mit anderen Menschen kommunizieren. Wer die Fähigkeit zum inneren Schweigen nicht entwickelt hat, der verliert den Kontakt zu sich selbst und kann bald auch nicht mehr klar denken. (S.186)

Thomas Metzinger, "DER EGO TUNNEL - Eine neue Philosophie des Selbst: Von der Hirnforschung zur Bewusstseinsethik", Zitate aus den Seiten 180...186

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